„Ich wollte nicht das 100.000ste Zahnrad entwickeln, sondern etwas, das in irgendeiner Form Menschen hilft.“ Paul Büttner sagt diesen Satz beiläufig, als ob es völlig normal wäre und hält dabei eine Orthese in der Hand: Das Ergebnis seiner Bestrebungen – oder vielmehr ein Ergebnis derer. Denn an der Fakultät für Maschinenbau der Hochschule Stralsund hat der heute 31-Jährige mit Mitarbeiter und Dozent Sven Klimaschewski schon einige Orthesen entwickelt und gebaut, auch die Material-Optimierungen angeregt. Heute werden unter anderem der Einsatz von Plasma auf Polymeren und dessen Auswirkungen untersucht – von Studierenden, so wie er, als er ins Labor für Additive Fertigung und digitale Produktentwicklung zu seinem damaligen Mentor und heutigen Freund Sven Klimaschewski kam. Während er erzählt, setzen sich Studierende an die Rechner im Labor, schreiben an Bachelor-Arbeiten, besprechen sich. Der Umgang ist freundlich, sie teilen eine Leidenschaft: Die Forschung. Status ist zweitrangig. Paul Büttner hatte als Student für eine Projektarbeit seinen Erstkontakt im Labor, wurde dann studentische und später wissenschaftliche Hilfskraft. Sich mit Orthesen zu beschäftigen, lag nicht wirklich nahe. Es ist gewachsen.
Der gebürtige Rüganer hatte eine Ausbildung zum Bootsbauer absolviert, aber schnell gemerkt: „Das will ich nicht bis zur Rente machen“. Und was er auch bemerkte, waren die Ingenieure und Ingenieurinnen in seiner alten Firma, die neue Produkte aufsetzten … und das vielleicht nicht immer so praxistauglich, wie gehofft. „Und dann dachte ich: Das kann ich besser und wollte Maschinenbau studieren.“ Das tat er, in Stralsund. Nach dem Bachelor wollte er dann eigentlich auf den Arbeitsmarkt, aber der Kontakt zum jungen Mentor und die gemeinsame Forschung hielten ihn. Sven Klimaschewski war in seinem Leben vor dem Ingenieurs-Dasein Sanitäter, daher das hohe Interesse auch an Gesundheitstechnik, mit dem er so zu begeistern versteht.
Und so sitzt Paul Büttner entspannt auf einem Drehstuhl und hält eine Digital-Orthese in der Hand. Eine Digital-Orthese in der Hand eines eigentlichen Bootsbauers ... Er spricht beispielweise von Gelenks-Erkrankungen, die vor allem Frauen nach den Wechseljahren ereilen, beschreibt Schmerzen und Problematiken in der Hand. Sein Interesse, Menschen durch seine Arbeit zu helfen, ist echt. Neben dem Studium hat der Masterstudent bei OT aktiv in Greifswald begonnen als Entwicklungsingenieur zu arbeiten, verantwortlich für Digitalisierung und Produktentwicklung. Der Job passt perfekt und füllt den jungen Vater aus.
Dass Digitalisierung ihn und Sven Klimaschewski begeistert, kann man so nicht sagen. Begeistert uns Luft zum Atmen? – Nein, aber sie ist unverzichtbar. So erachten auch die beiden Digitalisierung als absolut notwendig, um voran zu kommen in der Orthopädie- und Medizintechnik. „Es ist doch alles da“, sagt Sven Klimaschewski und formt die Hände zu Krönchen, leidenschaftlich gestikulierend. Aber er ist auch pragmatisch. Und mit eben diesem Pragmatismus wünscht er sich, nicht für die Schublade zu produzieren, sondern für die Menschen. Dafür suchen sie Praxis-Partner. Viel mehr braucht es gar nicht, ein Jahr Forschung, zwei je nach Firma und Kapazität.
Könntest du alle notwendigen Anpassungen selbst machen? – „Zum großen Teil, ja,“ erklärt Paul Büttner. „Für den Prototypen benötigen wir noch einige spezielle Sensoren zur präziseren Messung und ein optimiertes Platinen-Design, um die Elektronik effizient zu integrieren. Die App, die das System abrunden wird, muss allerdings noch entwickelt werden. Bisher verwenden wir eine vorhandene App als Grundlage, um die übertragenen Daten sichtbar zu machen. Die endgültige App soll jedoch benutzerfreundlicher gestaltet werden und eine sichere Datenübertragung an medizinische Fachkräfte ermöglichen.“ Einige dieser Schritte, wie etwa das spezialisierte Sensor-Design oder die App-Entwicklung, erfordern jedoch externe Unterstützung. Auch das Design der Orthese könnte noch weiter verfeinert werden. „Optisch und ergonomisch ist noch viel möglich“, ergänzt Sven Klimaschewski.
Aber was kann die Orthese?
„Es gibt ein großes Problem bei Orthesen“, sagt Sven Klimaschewski, „die Akzeptanz des Patienten beziehungsweise der Patientin“. Ungewohnt, unbequem, beengend, einschränkend. Sich dieser häufigen Einschätzungen bewusst, werden an der Fakultät für Maschinenbau schon seit Längerem Orthesen designt – Hände gescannt, zu stützende Bereiche herausgearbeitet und schlankere Modelle in 3D gedruckt. Aber ob maßgeschneidert im Maschinenbau oder Standardausführung: Ärzte und Ärztinnen wollen und müssen eigentlich wissen, ob Patient*innen die Orthesen wie vorgesehen tragen oder diese stattdessen zu wenig getragen haben. Nur wenn sie wie von Mediziner*innen vorgesehen getragen werden, können Orthesen helfen. „Es liegt nah, Sensorik zu integrieren“, sagt Paul Büttner, „und das wurde auch schon gemacht – Aber bisher noch nicht so wie bei uns“. Statt nur die Temperatur beispielsweise zu messen, um anhand derer nachweisen zu können, dass die Orthese getragen wurde (dann könnte man sie auch abnehmen und in die Sonne legen), messen sie mehrere Parameter: Puls, Temperatur, Sauerstoffsättigung. So wird nicht nur die Tragedauer für Patient*in und Mediziner*innen überwacht (denn alle drei in Kombination ließen sich nicht überlisten), sondern auch die Vitalfunktionen und damit ein Mehrwert generiert. „So könnte man, anhand der Temperatur und der Sauerstoffsättigung auch mögliche Entzündungen und Gewebeschädigungen früh-/ beziehungsweise vorzeitig erkennen. „Das bedeutet auch bessere Patientenversorgung anhand der Langzeitüberwachung“, sagt Sven Klimaschewski. Sie haben ihren Orthesen-Prototypen mit einer App-Variante gekoppelt, die es ermöglicht relevante Gesundheitsdaten in Echtzeit zu visualisieren. Diese Daten könnten direkt an Arztpraxen gesendet werden, was eine Live-Überwachung der Gesundheitswerte erlaubt.
Die Orthese entstand innerhalb eines Projekts mithilfe der internen Forschungsförderung an der Hochschule.