Künstliche Intelligenz für den Menschen und die Nachhaltigkeit
Künstliche Intelligenz (KI) wird in einer Vielzahl von Anwendungen und Systemen genutzt, die Teil unseres täglichen privaten und beruflichen Lebens sind. Prof. Dr. Jasminko Novak, Leiter IACS Competence Center Human-centred Intelligent Systems and Sustainability, schreibt hier über KI und ihren Einsatz für den Menschen und die Nachhaltigkeit.
***
Künstliche Intelligenz spielt eine wachsende Rolle dabei, wie wir auf Informationen zugreifen und sie konsumieren, wie wir darauf basierend Entscheidungen fällen, wie wir miteinander interagieren und wie wir uns und unsere Gesellschaft wahrnehmen.
Wie können wir die Künstliche Intelligenz und ihre Anwendungen so gestalten, dass sie sich an Menschen orientieren – und die Auswirkungen ihrer Nutzung auf die Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft von vornherein berücksichtigen?
Das ist das zentrale Anliegen und der Ansatz der Forschung zur so genannten menschenorientierten Künstlichen Intelligenz (eng. Human-centered AI). Nicht alleine die neuen technischen Möglichkeiten, nicht die großen Datenmengen, sondern der Mensch und sein soziales, wirtschaftliches, gesellschaftliches und natürliches Lebensumfeld, stellen hier den Ausgangspunkt für die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz.
Dazu gehören auch Forschungsfragen wie: Wie können wir die Künstliche Intelligenz so gestalten, dass sich die menschlichen und maschinellen Fähigkeiten optimal ergänzen? Dass sie hilft, bestehende gesellschaftlichen Ungleichheiten zu vermindern, anstatt die Diskriminierung weiter zu erhöhen? Wie können wir die Anwendungen der Künstlichen Intelligenz, denen wir im beruflichen wie privaten Alltag begegnen, sicher, verständlich und nachvollziehbar und damit vertrauenswürdig machen?
Forschung am IACS für menschenorientierte intelligente Systeme und Nachhaltigkeit
Dazu wird auch am IACS-Institute for Applied Computer Science geforscht, dem In-Institut, das die Forschung zur angewandten Informatik und der Künstlichen Intelligenz an der Hochschule Stralsund bündelt. Insbesondere im IACS-Kompetenzzentrum für menschenorientierte intelligente Systeme und Nachhaltigkeit (Human-centred Intelligent Systems & Sustainability) wird unter der Leitung von Prof. Dr. Jasminko Novak daran gearbeitet, ausgehend von diesen Gestaltungsprinzipien innovative menschenorientierte KI-Anwendungen für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Praxis zu entwickeln. Was meinen wir aber damit, was versteckt sich hinter diesen „großen“ Begriffen? Bevor wir das mit konkreten Beispielen veranschaulichen, hier eine kurze Übersicht einiger Leitideen dieser Forschung in unserem Kompetenzzentrum.
Leitideen der Forschung am IACS
Komplexe Modelle sind nicht immer die besseren. Bei maschinellem Lernen aus vorhandenen Trainingsbeispielen werden häufig Modelle konstruiert, mit denen zum Beispiel Prognosen generiert werden können. Solche Modelle können für die Nutzer*innen sehr komplex und schwer nachvollziehbar erscheinen. KI-Verfahren machen es uns somit nicht immer leicht, ihnen auch zu vertrauen. Wir widmen uns mit unserer Forschung vor allem der KI, die erklärbar, verständlich und nachvollziehbar ist, um einen höheren Nutzen daraus zu ziehen.
Weniger (Daten) ist mehr. Komplexität geht auch mit einer großen Menge an Daten einher. In unseren Projekten wollen wir, nur die Daten zu nutzen, die auch tatsächlich notwendig für eine zuverlässige Prognose sind. Das begründet sich einerseits durch den Datenschutz und diese Konzentration auf weniger Daten hilft andererseits auch, die Komplexität der KI-Modelle zu beschränken. Wir wollen schlussendlich ein Modell erhalten, das noch verständlich ist und zuverlässige Prognosen erlaubt.
Assistenzsysteme für Nachhaltigkeit. Empfehlungs- und Assistenzsysteme sollen Nutzer*innen unterstützen, indem sie Handlungsempfehlungen geben. Im IACS beschäftigen wir uns vor allem mit solchen Systemen, die zu einem nachhaltigeren Verhalten führen, hinsichtlich des Wasser- oder Energieverbrauchs beispielsweise. Wenn Modelle eine Verhaltensänderung herbeiführen sollen, müssen die Nutzer*innen die Ausgaben des KI-Systems auch verstehen können. Die Visualisierungen müssen geeignet sein und Empfehlungen und Benachrichtigungen wiederholt, aber dosiert erfolgen.
Nutzerbewusstsein schaffen für KI. Wann sie es bei einem System wirklich mit KI zu tun haben oder wie ihre Eingaben – zum Beispiel das Klicken im Web – die Ausgaben eines KI-Systems beeinflussen, wissen viele Nutzer*innen häufig nicht. Produktempfehlungen im Web können unser Verhalten beeinflussen, ohne, dass wir uns darüber bewusst sind. Mit unserer Forschung möchten wir daran arbeiten, so ein Bewusstsein zu schaffen. Wir möchten, dass Menschen KI erkennen und sogar verstehen, wie ihre Ergebnisse zustande kommen.
Anwendungen der Künstlichen Intelligenz für die Nachhaltigkeit
Ein Schwerpunkt unserer Forschung entlang dieser Leitideen liegt auf Anwendungen der Künstlichen Intelligenz für die Nachhaltigkeit. Diese sollen Menschen dabei unterstützen, nachhaltigkeitsbewusste Lebensweisen umzusetzen und Unternehmen helfen, neue, nachhaltigkeitsorientierte Produkte, Dienstleistungen Geschäftsmodelle zu entwickeln. In interdisziplinären Forschungsprojekten werden dazu im unseren Kompetenzzentrum mit Unternehmen und Zielnutzern praktische KI-basierte Innovationen entwickelt.
So wurden beispielsweise, personalisierte Empfehlungsdienste und digitale Assistenten zur Optimierung des Wasser- und Stromverbrauchs für Endverbraucher entwickelt. Sie kombinierten intelligente Lösungen mit spielerischen Techniken, um ein nachhaltigeres Verhalten im Alltag zu fördern (EU-Projekte SmartH2O und enCOMPASS). Die erzielten Ergebnisse sind vielversprechend. Die im Projekt SmartH2O zusammen mit dem European Institute for Participatory Media aus Berlin und fünf anderen europäischen Partnern entwickelten Lösungen wurden in Feld-Tests mit realen Kunden über mehr als ein Jahr hinweg Reduktionen im Wasserverbrauch von bis zu 20Prozent erzielt (Novak et al, 2018, Cominola et al., 2021). Deshalb wurde das Projekt von der europäischen Vereinigung Water Innovation Europe mit dem Digital Water Award 2018 ausgezeichnet. Ähnlich konnte der Stromverbrauch an Schulen, die Lösungen aus dem enCOMPASS-Projekt im Feldtest genutzt haben, bis zu 18 Prozent reduziert werden.
Das Projekt SIT4Energy
Ein anderes Beispiel ist, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Sekretariat für Forschung und Technologie Griechenlands gefördertes Projekt SIT4Energy, in dem wir mit dem griechischen Nationalen Forschungsinstitut CERTH sowie mit einem deutschen und einem griechischen KMU zusammenarbeiteten. Hier wurden beispielsweise, intelligente Dashboards entwickelt, die Methoden der erklärbaren Künstlichen Intelligenz einsetzen, um sowohl Privatkunden als auch Energieanbietern mit intelligenten Tipps und Prognosen zu helfen, ihre Energieeffizienz beziehungsweise die Energieplanung zu verbessern.
Das entwickelte intelligente Dashboard für Endnutzer richtete sich dabei speziell an Kunden, die auch selbst ihren eigenen Strom mittels Photovoltaik-Anlagen erzeugen (engl. Prosumer = Producer + Consumer). Es ermöglicht ihnen mittels intuitiver Visualisierungen, einfach zu verstehen wie viel sie von der selbsterzeugten Energie verbrauchen. Das Prosumer-Dashboard zeigt ihnen auch, um wie viel sie diesen Selbstversorgungsgrad erhöhen könnten. Schließlich bekommen die Nutzer auch konkrete Empfehlungen, wie sie das erreichen könnten, in dem sie beispielsweise bestimmte Verbrauchsarten von sonnenarmen auf sonnenreiche Tage verschieben. Die intelligenten Empfehlungen berücksichtigen dabei nicht nur die Wettervorhersage für die bevorstehenden Tage, sondern auch die Wirksamkeit und die Schwierigkeit verschiedener Empfehlungen. Dieses Prosumer-Dashboard wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Stadtwerk Haßfurt und dem European Institute for Participatory Media in Berlin entwickelt. Die Reaktionen der Kunden, die das Prosumer-Dashboard in einem neunmonatigen Feldtest ausprobieren konnten, waren so positiv, dass sich das Stadtwerk Haßfurt entschieden hat, den Dienst für seine Kunden auch nach Projektende im Regelbetrieb anzubieten.
Das intelligente Dashboard für Bedarfsprognosen für Energieversorger ermöglicht es auch kleinen Energieanbietern und Stadtwerken ohne KI-Expertise, einfach verständliche Vorhersagen und Analysen des Strombedarfs und -angebots in Netzen mit hohem Anteil erneuerbarer Energien zu erhalten. Dazu wurden Verfahren der Künstlichen Intelligenz, dessen Grundprinzipien auch für Laien einfach erklärbar sind, angewandt und mit Methoden der visuellen Analytik kombiniert. Das intelligente Dashboard generiert Prognosen des Strombedarfs und des Stromangebots für den nächsten Tag, in dem es anhand der erwarteten Wetterdaten, die ähnlichsten Tage aus der Vergangenheit identifiziert. Der Durchschnitt des Strombedarfs und der Stromerzeugung an den wettertechnisch ähnlichsten Tagen aus der Vergangenheit wird dann für die Prognosewerte herangezogen.
Die Ergebnisse werden dann mit verschiedenen Visualisierungen dargestellt und können interaktiv untersucht werden, um weitergehende Einsichten zu gewinnen (zum Beispiel wird der lokale Strombedarf mit den Wetterbedingungen zusammenhängt). Bereits mit dieser einfach nachvollziehbaren Methode konnte eine Prognose-Genauigkeit von fast 95 Prozent erzielt werden, bei einer hohen Verständlichkeit für die Nutzer, die keine Vorkenntnisse der KI hatten (Grimaldo und Novak, 2021). Anstatt des Folgetages können auch beliebige Tage für die Prognose ausgewählt werden und die erwarteten Wetterparameter können manuell verändert werden, um hypothetische „was-wäre-wenn“-Szenarien die selten vorkommen zu simulieren (zum Beispiel Extremwetterereignisse). Damit ist ein innovatives Werkzeug realisiert worden, das es auch kleinen Energieanbietern ohne KI-Expertise, ohne große Datenmengen und ohne komplexe Daten-Infrastrukturen ermöglicht, die Potentiale der Künstlichen Intelligenz zu nutzen, um ihr Energiemanagement in Netzen mit hohem Anteil erneuerbarer Energien besser zu gestalten.
Die geschilderten Beispiele und insbesondere die Ergebnisse aus dem SIT4Energy-Projekt zeigen, wie menschenorientierte KI-Anwendungen für die Nachhaltigkeit entwickelt werden können. Anwendungen, die Menschen helfen, effizienter mit Energie umzugehen, die Unternehmen dabei unterstützen ihr Geschäft zu optimieren und neue, nachhaltigkeitsorientierte Dienstleistungen anzubieten.
Prof. Dr.-Ing. Jasminko Novak
Leiter IACS Competence Center Human-centred Intelligent Systems and Sustainability