„Hoch beeindruckend und tief desillusionierend zugleich“, beschreibt Prof. Dr. Claudia Danker, Dekanin der Fakultät für Wirtschaft der Hochschule Stralsund, in ihrer Ankündigung das Wirkungsfeld Anne Brorhilkers. Die ehemalige Cum/Ex-Chef-Ermittlerin fesselte am 16. Oktober in der öffentlichen Veranstaltungsreihe Studium generale im Auditorium maximum der Hochschule Stralsund ihr Publikum. Dem Auditorium gewährte Anne Brorhilker tiefe Einblicke in die komplexen Strukturen der agierenden Netzwerke, griffige Erklärungen zum Verständnis und mitunter humorvolle Informationen aus ihrem früheren Arbeitsalltag. So erhielt die Zuhörerschaft eine bisher unbekannte Transparenz in den wohl größten Steuerskandal Deutschlands. Sie erklärte Cum/Cum und Cum/Ex (entweder nicht bezahlen oder doppelt erstatten lassen). Es ginge teilweise um Geschäfte von 250 Millionen Euro, die um den Faktor 40 gehebelt worden seien.
Somit wären es „riesige Aktiengeschäfte gewesen, die in Sekundenschnelle“ passiert seien. Obwohl der Bundesfinanzhof diese Geschäfte für eindeutig steuerrechtlich illegal erklärt hätte und rechtskräftige Verurteilungen erfolgt seien, würde immer noch in der Fachliteratur in Frage gestellt, ob dieses Verhalten strafbar sei und eine Kriminalisierung der Täter moniert (bis heute). 2014 sei ihr erster Fall gewesen mit 14 Durchsuchungen parallel. „Alle beteiligten Firmen saßen im Ausland. Nur der Schaden, der ist in Deutschland entstanden.“
Anne Brorhilker gelang im Studium generale ein Spagat zwischen Vorlesung, Tatsachenbericht und Unterhaltung im allerbesten Sinne. So berichtete sie von ermittelnden Beamten mit Flugangst auf dem Weg nach London, Papier- und Druckermangel in leitenden Behörden (kein Scherz) und Versuchen der Einflussnahme durch die Wirtschaft – authentisch und nahbar. Studierende natürlich von der Hochschule, aber auch ihre Kommiliton*innen aus Berlin aus dem gemeinsamen Steuermaster MUST (Unternehmenssteuerrecht) waren im Publikum, Vertreter*innen aller Fakultäten der HOST, viele Stralsunder*innen und nicht zuletzt das Fachpublikum aus Wirtschaft, Justiz und Verwaltung. Im Anschluss an den Vortrag wurde auf hohem Niveau diskutiert und nachgefragt.
Das Studium generale kam an und erfüllte seine Mission, gesamtgesellschaftlich relevante Themen an der Hochschule für die Öffentlichkeit greifbar zu machen. Transfer mit Sternchen.
Anne Brorhilker ist ehemalige Oberstaatsanwältin. Sie war über zwei Jahrzehnte in der Staatsanwaltschaft Köln tätig, brachte eine Vielzahl an Strafverfahren in Sachen Finanzkriminalität voran und erstritt zahlreiche rechtskräftige Urteile. Im April 2024 bat sie um Entlassung aus dem Staatsdienst. Seit Juni 2024 ist sie Mitglied der Geschäftsführung der Bürgerbewegung Finanzwende. Anne Brorhilker stellt politische Strukturen und Personen in Frage, die diesen Finanzbetrug erst möglich gemacht hätten.
Ihrem Vortrag voran ging die Eröffnung des neuen An-Instituts der Hochschule Stralsund, des Instituts für internationale Zusammenarbeit im Bereich des Steuerrechts – iHOST. Prof. Dr. Eisgruber ist der Leiter und gestaltet zudem mit Kolleg*innen die Lehre im Master-Studiengang in Unternehmenssteuerrechts an der Hochschule Stralsund, ein Studiengang, den es so kein zweites Mal in Deutschland gibt. Die HOST kooperiert dafür länderübergreifend mit der HTW Berlin. Der Rektor der Hochschule Stralsund, Prof. Dr. Ralph Sonntag, Anne Brorhilker und Prof. Dr. Eisgruber gestalteten die Eröffnung des Instituts.
Das nächste Studium generale findet am 6. November statt – Es wird zugleich die Eröffnung des Baltic Sea Forums der Hochschule sein. Dann gibt es Einblicke zu Norwegen und seiner grünen Zukunft, vielversprechend, aber nicht unkritisch. Anmeldungen sind hier möglich.