Sie trägt unsere Erbinformationen, speichert in der Abfolge ihrer Basen Angaben, die unser Körper zum Funktionieren braucht und zur Herstellung von Proteinen für den Zellstoffwechsel, DNA macht uns aus. Alle Details, die sie ausmachen, hat die Wissenschaft aber noch lange nicht durchdrungen. Wie im Lehrbuch sieht zum Beispiel der Aufbau eines Chromosoms nicht aus, soviel steht fest, sagt Prof. Dr. Gero Wedemann, Leiter des Institute For Applied Computer Science (IACS), „tatsächlich streitet sich die Wissenschaft darüber, wie ein Chromosom aufgebaut ist, seit bestimmt 50 Jahren“, ordnet er ein. Wedemann beschäftigt sich seit 25 Jahren mit DNA und Chromatin, baut Computer-Modelle dafür. Mit der Unterstützung seines Mitarbeiters Tilo Zülske aus der Arbeitsgruppe Bioinformatics konnte er in einer Kooperation mit Biologen der Ludwig-Maximilians-Universität München demonstrieren, wie sich die Nukleosomen, die erste Verpackungsstufe der DNA im Zellkern verhalten, wenn ein Gen abgelesen wird oder inaktiv ist. Eine wichtige Anwendung kann dieses neue Verständnis zum Beispiel dafür liefern, wenn bei Krebszellen ein Mechanismus angehalten werden soll. Ihre Erkenntnisse haben Wedemann und Zülske im Artikel „Differences in nanoscale organization of regulatoryactive and inactive human chromatin“ publiziert. Auf der Tagung der Biophysical Society vorletzte Woche in San Diego wurde der Artikel als einer der zehn besten aus mehr als 500 Artikeln des Biophysical Journal 2022 geehrt. „Das war eine große Überraschung“, sagt Wedemann. Über die Ehrung einer der besten Fachzeitschriften der Biophysik (mit einem Journal Impact Factor von 3,7) war er zuvor nicht informiert. Erst als er im Hotelzimmer einen Blick ins Begleitheft warf, entdeckte er seinen Namen.
Der Artikel beschreibt was die Nukleosomen machen, wenn ein Gen aktiv abgelesen wird. „Es war unklar, ob sie immer da sind, oder ob auch welche fehlen können. Im inaktiven Zustand, ohne dass das Gen abgelesen wird, sind sie dort alle gebunden. Betrachtet man aber einen aktiven Bereich, wird das Gen also abgelesen, beginnt ein dynamischer Prozess“, so Wedemann, „und das ist das erste Mal, dass das so nachgewiesen wurde“.
Die Kolleg*innen der Fakultät für Biologie der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) hatten das Thema mikroskopisch untersucht und sich vor rund einem Jahr an Wedemann gewendet. „Das ist eigentlich der Traum eines jeden Theoretikers, aktiv angefragt zu werden, ob man Ergebnisse aus Experimenten mit einem Modell erklären kann.“ Die HOST und die LMU sind beide im Schwerpunkt-Programm 3D-Genomarchitektur in Entwicklung und Krankheit der Deutschen Forschungsgemeinschaft verbunden. In der Kooperation für den aktuellen Artikel sind außerdem auch noch Forscher aus der University of Washington (USA) involviert. Im Zuge der Ehrung erreichten Wedemann direkt eine neue Kooperationsanfrage aus den USA. Tilo Zülske ist dran und Prof. Dr. Wedemann schreibt am nächsten Manuskript.